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Die Regierung steht in der Schuld der Menschen

Die Künstler Sergio Méndez und Luciano Venegas aus CHILE stellen in Nürnberg aus und sprachen über die Proteste in ihrer Heimat.

Sergio Méndez (links) und Luciano Venegas in der Galerie Arauco. Foto: Michael Matejka
Sergio Méndez (links) und Luciano Venegas in der Galerie Arauco. Foto: Michael Matejka

 

Die Regierung steht in der Schuld der Menschen

 

Die Künstler Sergio Méndez und Luciano Venegas aus CHILE stellen in Nürnberg aus und sprachen über die Proteste in ihrer Heimat.

 

NÜRNBERG. In vielen Teilen Lateinamerikas herrscht derzeit Aufruhr. Auch Chiles Hauptstadt Santiago kommt nicht zur Ruhe. Erst am Wochenende gab es wieder schwere Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei. Entzündet hatten sich die Massenproteste gegen die Regierung bereits Mitte Oktober an einer geplanten Erhöhung der U-Bahn-Preise um 30 Pesos (rund drei Cent). Aber auch die unzureichende private Altersversorgung und ganz allgemein Armut und soziale Unterschiede befeuerten die Demonstrationen.Selbst als die rechte Regierung von Präsident Sebastián Piñera die Preiserhöhung zurücknahm, Sozialmaßnahmen und eine Änderung der seit Pinochet-Zeiten bestehenden Verfassung ankündigte, beruhigte sich die Volksseele nicht.

In der kleinen Nürnberger Galerie Arauco am Trödelmarkt zeigen gerade zwei chilenische Künstler ihre ganz unterschiedlichen Werke. „Chroniken vom Ende der Welt“ ist die Schau überschrieben, und selbst wenn nicht alle Arbeiten von Pessimismus geprägt sind, blicken Luciano Venegas und Sergio Méndez mit Sorge auf die Situation in ihrem Land. Auf die versöhnlichen Ankündigungen ihrer Regierung wollen sie nicht vertrauen, sagen die beiden bei einem Besuch in Nürnberg.

Méndez war 1974 nach Italien ins Exil geflüchtet, um sich vor Pinochets Militär-Diktatur in Sicherheit zu bringen. Der heute 72-Jährige war damals in San Carlos knapp 400 Kilometer nördlich der Hauptstadt Anführer einer regionalen Gruppe der links-revolutionären Bewegung MIR und arbeitete mit Landarbeitern zusammen, um eine Agrarreform durchzusetzen. Doch die Repressionen seien derart massiv gewesen, dass er sich für die Flucht entschied. Heute lebt Méndez in Mailand und in Chile.

Bei Arauco zeigt er expressive schwarzweiße Holzschnitte, in denen er sich mit der Natur seiner Heimat genauso auseinandersetzt wie mit den Menschenrechten und sozialen Themen. Die Kunst entdeckte er erst im Rentenalter für sich, zunächst hatte er sich der Aquarellmalerei gewidmet, doch da fand er bald in seinem Lehrer und jetzigen Ausstellungspartner Luciano Venegas seinen Meister. Der zeigt in der Galerie als Kontrast zu seinem Landsmann farbig leuchtende Arbeiten mit urbanen oder landschaftlichen Szenen – und immer herrscht darin Bewegung.

Auch die Demonstrationen in Chile spielen in Venegas’ Bildern eine Rolle. „Unser Land ist gerade mit einer sehr kritischen Situation konfrontiert“, sagt der 51-Jährige. Und das sei ein Produkt der vergangenen 30 Jahre nach der Diktatur. Die bereits unter Pinochet begonnene neoliberale Politik habe im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum im Land die soziale Gerechtigkeit stark beschädigt. Die puren Zahlen erweckten zwar den Eindruck einer guten Entwicklung, doch die Lebensqualität der Bevölkerung hinke etwa bei Gesundheit, Wohnen und Bildung hinterher. „Die Regierung steht da in der Schuld der Menschen“, sagt Venegas.

Die Metro sei für die Bevölkerung in Santiago unentbehrlich, 30 Pesos mögen sehr wenig sein, aber eine Familie spüre den Gesamtpreis im Jahr deutlich. Die Proteste seien von den Studenten ausgegangen, „die oft eine kritischere Sicht der Dinge“ hätten, doch für das Volk sei es der Impuls gewesen, seine Rechte einzufordern, zu sagen „Basta, es reicht!“.

„Es war wie ein Schneeball, aus dem sich eine Lawine entwickelt“, erklärt der Künstler. Immer mehr Leute gingen auf die Straße, die Proteste wurden von der breiten Bevölkerung unterstützt. Sie waren nicht ganz wirkungslos: Im April 2020 sollen die Chilenen bei einem Referendum wählen können, ob sie eine neue Verfassung wollen und wenn ja, wie sie aussehen soll. Die Frage ist, wer sie dann formulieren wird. . .

Ein Problem ist daneben auch das unzureichende private Altersvorsorgesystem. „Die Pensionen, die sich daraus ergeben, spotten jeder Beschreibung“,  sagt Méndez. „Es ist etwa so, als hätte man 1000 Dollar im Monat verdient und als Rente geben sie dir dann 120 Dollar“. Was zurückgehalten werde, werde als Stützpfeiler der Wirtschaft verwendet – von all der Korruption und Privatisierung einmal abgesehen, meint er bitter. Und das sei nicht alles: In Chile gebe es fünf Supermarkt- und drei Apotheken-Ketten, die die Preise bestimmen. Deshalb würden die Leute ihre Medikamente oft jenseits der Landesgrenzen günstiger kaufen. Für Méndez ist das auch der Grund, weshalb Demonstranten genau diese Läden überfallen.

Dass Piñera die Verfassung schnell ändern wird, glaubt er nicht. „Die Leute sind heute noch immer auf der Straße, weil sie es auch nicht glauben“. Er sei davon überzeugt, dass die rechten Parteien nicht im mindesten an einer Änderung interessiert sind, „weil es das neoliberale Modell in Frage stellen würde“. Aus der aktuellen Situation könne daher alles Mögliche entstehen, auch mehr Gewalt, meinen Méndez und Venegas. Die beiden Künstler hoffen aber, dass es doch bald gelingt, auf anständigem Weg ein demokratisch zusammengesetztes Verfassungswerk zu formulieren.

 

BIRGIT NÜCHTERLEIN

 

Arauco, Trödelmarkt 13, die Ausstellung ist bis 22. Februar zu sehen.

Bis 29. Juni 2019, Mo.–Mi. 11–13 und 14–18 Uhr, Do.-Fr. 11–13 und
14–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr.

Weitere Informationen im Internet
auf www.arauco.de

Nürnberger Nachrichten - Kultur

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Foto: Michael Matejka

 

 

Birgit Nüchterlein
Nürnberger Nachrichten
Montag, 2. Dezember 2019

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